Flugentschädigungen: Führen börsennotierte Airlines Investoren hinters Licht?
In den Geschäftsberichten der wichtigsten europäischen Fluggesellschaften wurden in den letzten drei Jahren über fünf Milliarden Euro an Entschädigungsverpflichtungen nicht einberechnet. Da bis zu 90 Prozent der Fluggäste ihre Ansprüche auf eine Entschädigung bei Flugverspätungen und -ausfällen kennen, die in manchen Ländern bis zu 10 Jahre rückwirkend fällig werden kann, ist es von großer Bedeutung, dass verbesserte Berichts- und Rückstellungspflichten für Fluggesellschaften eingeführt werden. Andernfalls könnten Aktionäre und Investoren im Jahr 2019 weitere Insolvenzen von Fluggesellschaften erleben. Ein Gastkommentar von Gediminas Ziemelis, Vorsitzender der Avia Solutions Group.
- 2019-06-27
- 5:15 AM GMT
Jedes Jahr, wenn sich das Ende des Geschäftsjahres nähert, veröffentlichen die Fluggesellschaften ihre Jahresabschlussberichte. Dabei sind sie sehr darauf bedacht, hohe operativen Gewinne zu melden. Diese Zahlen spiegeln jedoch nicht immer die Wirklichkeit wider: Die Fluggesellschaften können damit durchkommen, ihre fälligen Entschädigungszahlungen nicht in voller Höhe anzugeben. Wirtschaftsprüfer sollten die erste Instanz sein, die die Fluggesellschaften kontrolliert und sicherstellt, dass sie mögliche Entschädigungszahlungen in ihrer Bilanz offenlegen, doch sie berücksichtigen dies derzeit bei der Unterzeichnung von Finanzberichten nicht ausreichend.
Daten von Flugentschädigungsunternehmen, wie Skycop, zeigen, dass etwa ein Prozent der Flüge unter die EU-Richtlinie 261/2004 fallen und der durchschnittliche Betrag pro Entschädigung 351 Euro beträgt. Mehr als 10 Millionen Passagiere aus der EU waren 2017 und 2018 jeweils zu einer Entschädigung berechtigt: Dies ergibt einen beeindruckenden Entschädigungsbetrag von ca. 3,66 Milliarden Euro jährlich.
Offene Forderungen sind auf der Passivseite der Bilanz zu addieren und bei der Bilanzierung als Rückstellungen abzugrenzen. In den Finanzberichten wird dies jedoch nicht angemessen berücksichtigt. Die offenen Entschädigungsansprüche können einen erheblichen Einfluss auf den Nettogewinn einer Airline haben, wenn die erforderlichen Rückstellungen nicht ausreichend gebildet werden, um die Entschädigungsverpflichtungen zu decken. Auf diese Weise werden die Anleger ernsthaft gefährdet: Die unvollständigen Finanzinformationen erschweren so eine genaue Beurteilung der finanziellen Situation des Unternehmens.
Ob absichtlich oder einfach nur aus Fahrlässigkeit, Tatsache ist, dass börsennotierte Fluggesellschaften nicht ordnungsgemäß über ihre ausstehenden Entschädigungsforderungen berichten. Da diese Fluggesellschaften außerdem keine ausreichenden Rückstellungen für die Passagierausgleiche bilden und daher überhöhte Gewinne in der Bilanz ausweisen, wird der Wert der Gesellschaft falsch berechnet. Wären die Fluglinien gezwungen, Reserven zu bilden und ihre tatsächliche finanzielle Situation widerzuspiegeln, könnte ihr Unternehmenswert stark sinken.
Nehmen wir zum Beispiel das bekannte Low-Cost-Unternehmen Ryanair: Der kumulierte Betrag der Passagierforderungen von 2015 bis 2017 dürfte die beeindruckende Summe von einer Milliarde Euro erreicht haben, während das Unternehmen 180 Millionen Euro für 2015, 149,3 Millionen Euro für 2016 und 138,2 Millionen Euro für 2017 als Rückstellungen in seiner Bilanz ausgewiesen hat.
Basierend auf den Erfahrungen von Skycop und anderen Flugrechteexperten kennen heute bis zu 90 Prozent der Passagiere ihre Rechte und fordern Entschädigungen ein. Trotzdem werden Reserven immer noch aufgrund von Beurteilungen des Managements und nicht anhand dieser Daten gebildet, was zu unzureichenden Reserven führt. Dementsprechend weigern sich die Fluggesellschaften häufig, Entschädigungen zu zahlen und bestreiten die Ansprüche gegenüber Unternehmen, welche Passagiere vertreten. Die von den Flugentschädigungsspezialisten ergriffenen Maßnahmen könnten dazu führen, dass die Fluggesellschaften gezwungen sein werden, alle aufgelaufenen Forderungen in einem Geschäftsjahr zu begleichen. Auditfirmen sind sich des Problems bereits bewusst – ebenso wie Skycop und andere Unternehmen – und arbeiten daran, die Fluggesellschaften auf das Ausmaß des Problems aufmerksam zu machen. Angesichts des zunehmenden Drucks ist es wahrscheinlich, dass die Finanzmarktaufsicht endlich die Problematik angeht und die börsennotierten Fluggesellschaften auffordert, Entschädigungszahlungen verlässlicher zu bilanzieren.
Deshalb ist dies eine besonders wichtige Zeit, in der die Fluggesellschaften beginnen müssen, auf mögliche Entschädigungsansprüche zu achten, da sie ansonsten die Nachhaltigkeit ihres Geschäfts beeinträchtigen können. Flugentschädigungen wirken sich bereits heute auf den Gewinn der Fluggesellschaften aus, daher sollten verbesserte Standards für die Geschäftsberichte der Airlines eingeführt werden, ansonsten werden 2019 weitere Fluglinienpleiten folgen. Investoren und Aktionäre haben zudem das Recht, sich über die exakte Finanzlage des Carriers zu informieren.
Text: Gediminas Ziemelis